50plus als Unternehmensgründer

Gärtnern, golfen, Scrabble? Von wegen! Manche Menschen starten gegen Ende ihres Berufslebens noch einmal durch und machen sich selbstständig.
50plus machen als Firmengründer eine gute Figur.
50plus machen als Firmengründer eine gute Figur.

Dies schreibt Victor Gojdka auf «spiegel.de».

Hätte im Sommer 2006 Wind geblasen an der Ostküste Spaniens, Richard Meier wäre wohl nie auf seine Geschäftsidee gekommen. Eigentlich war er zum Kitesurfen dort, aber wegen der Flaute blieb ihm nichts anderes als ein Strandspaziergang. Dabei entdeckte Meier die braunen Seegraskugeln, die zu Tausenden am Strand herumlagen.

"Daraus könntest du doch einen tollen Baustoff machen", sagte seine Frau zum Architekturprofessor Meier. Der aber winkte ab: "Es gibt doch nichts, was es noch nicht gibt." Und ein versierter Freund stimmte zu: "Die Dinger sind wirklich zu gar nichts zu gebrauchen, die lassen sich ja noch nicht einmal verfeuern."

Das wiederum liess Meier aufhorchen. Ein Gras, das nicht brennt? Klang doch aussergewöhnlich. Es war die gedankliche Keimzelle für Meiers Idee: Aus den Seegrasbällen könnte man einen natürlichen Dämmstoff machen, ohne Chemie. Heute sagt der 67-jährige Meier: "Ich will mit diesem Produkt noch mal richtig durchstarten."

Dem Vorurteil nach sind deutsche Gründer junge Hipster Ende Zwanzig, die mit Latte-Macchiato-Bechern durch Berlin-Mitte stolzieren. Laut KfW-Gründungsmonitor wird bereits jetzt allerdings jede zehnte neue Firma von einem Chef über 55 gegründet, der Anteil der Senioren unter den deutschen Gründern steigt.

Wichtige Senioren-Gründer

"In einer alternden Gesellschaft werden Senior-Gründer immer wichtiger", sagt Thomas Funke vom RKW Kompetenzzentrum, der sich den "grauen Gründern" wissenschaftlich gewidmet hat. Denn wenn die Jungen in der Gesellschaft immer weniger werden, müssen zwangsläufig mehr Ältere die Innovation vorantreiben.

Richard Meier hatte einen gesicherten Job, war Architekturprofessor an der SRH Hochschule in Heidelberg. Aber Meier entschied sich 2007 für seine Geschäftsidee, gab 2010 seine Professur auf. Ob das gut ausgehen würde?

Bis die Produktion einwandfrei lief, war es ein langer Weg. Schliesslich hatte niemand vor Meier überhaupt Erfahrungen mit diesem Seegras gesammelt. Zunächst versuchte seine Frau, die filzigen Bälle mit ihrer Küchenmaschine zu zerhacken. Am Ende kaufte Meier einen professionellen Häcksler. "Der Aufbau der Produktion war extremes Learning-by-doing", sagt Meier um besten Unternehmerdeutsch.

Seine Lösung: In Tunesien und Albanien sammeln Arbeiter die Kugeln für ihn ein. Am Rand von Karlsruhe lässt Meier in einer Produktionshalle dann den Sand aus den Bällen rütteln, sie zu Dämmwolle zerhäckseln und schlussendlich in wasserdichte Plastiktüten abfüllen. Inzwischen hat Meier knapp ein Dutzend Preise für seine Geschäftsidee gewonnen. Er dämmt die Dächer von Schulen und Gasthäusern, vor allem aber die Häuser vieler Privatleute, die keine Chemie in ihrem Dämmmaterial haben wollen.

Dass Meier binnen kürzester Zeit erfolgreich wurde, dürfte auch an seiner beruflichen Erfahrung liegen. "Viele Seniorgründer greifen auf ein extrem tiefes Branchenwissen zurück", sagt Gründungsexperte Funke. Das hilft ihnen genauso wie ihre Lebenserfahrung: "Viele Gründer im besten Alter sind gelassener als junge Gründer", sagt Beraterin Monika Funsch, die mit ihrer Topforty-Karriereberatung vor allem ältere Gründungswillige betreut. Für Unternehmer ist diese Eigenschaft wichtig, denn sie sitzen in einer ständigen Achterbahn: Heute bekommen sie einen Grossauftrag, morgen geht eine Maschine kaputt.

Gelassen, so ging auch Thomas Laux an seine Unternehmensgründung heran. Jahrzehnte lang hatte Laux bei verschiedenen Banken und Finanzdienstleistern gearbeitet. Als sein Arbeitgeber allerdings von einer anderen Bank aufgekauft werden sollte, nutzte Laux die Gelegenheit: zum Sprung ins kalte Wasser - im wahrsten Sinnes des Wortes. Laux hängte mit 53 Jahren seinen gutbezahlten Job an den Nagel und erfüllte sich im vergangenen Jahr den Traum, ein Hausboot auf der Lahn als Ferienwohnung zu vermieten.

"Wenn ein Unternehmen umstrukturiert wird, sehen viele das als eine Chance, ihr Leben noch einmal umzugestalten", sagt Beraterin Funsch. Doch nicht immer werden sie ernst genommen. "Als ich mit meinem Businessplan zur Bank gegangen bin", erzählt Laux, "da dachten meine ehemaligen Kollegen zuerst, ich mache einen Scherz." Doch er hielt an seiner Idee fest, kaufte das Hausboot in Brandenburg und liess es auf der Lahn zu Wasser. "Seitdem bin ich eine One-Man-Show."

Unverhoffte Lasten

Laux erklärt seinen Gästen, wie man das Boot steuert, ist rund um die Uhr erreichbar, übernimmt die Grundreinigung und saugt am Ende den Fäkalientank leer. Anders als früher ist er heute Head of Financing, Head of Compliance, Head of Facility Management. Kurz: Laux ist in seinem Betrieb 'Head of Alles', wie er sagt.

Aber nicht immer nehmen die Seniorgründer die neue Arbeitslast mit Humor. Expertin Funsch weiss: Ohne vorherige Beratung ahnen viele Ältere nicht, was nach einer Unternehmensgründung auf sie zukommt. Tage mit gut und gerne 14 Stunden Arbeitszeit, oftmals Probleme bei der Kreditbeschaffung, Pannen aller Art. Architekt Meier zum Beispiel bekam einmal Probleme mit einem Förderantrag, weil er einem Unternehmen einen einzigen Cent Skonto zu wenig abgezogen hatte. Und Laux muss bald eine Hilfskraft einstellen, schliesslich will er ein zweites Boot in Betrieb nehmen.

Dämmstofferfinder Meier plant, in drei Jahren - mit 70 - aus der Firma auszusteigen. Das Unternehmen könnte dann an Investoren oder bei einem Konzern als Marke unterschlüpfen. Kürzlich allerdings hatte er eine neue Idee: Den Sand, der während der Produktion aus den Seegrasbällen herausfällt, will er mit einigen Seegrasfasern mischen. Im Winter hat er entdeckt, dass dieses Gemisch ein gutes Bremsmaterial für vereiste Flächen ist. "Die Idee muss ich einfach umsetzen", sagt Meier. Und 70 sei ja auch nur eine Zahl.


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