HANDGESUNDHEIT
Das Carpaltunnelsyndrom (CTS)
von Dr. med. Ralf Siedenberg
Einleitung
Das Carpaltunnelsyndrom ist eine der häufigsten Erkrankungen der Neurologie, genauer ist es die häufigste periphere Nervenläsion des Menschen. Es ist das bekannteste Nervenkompressionssyndrom, welches typischerweise Folge einer mechanischen Kompression des Nervus medianus (mittlerer Handnerv) bei seinem Durchtritt durch den Handgelenkskanal (canalis carpi) ist.
Bei den meisten Menschen ist die eigentliche Ursache ein zu eng angelegter Handgelenkskanal, der sich im Laufe des Lebens manifestiert, meist im höheren Lebensalter, häufig allerdings auch schon in jungen Jahren. Bei den meisten Carpaltunnelerkrankungen findet sich keine weitere Ursache. Es gibt allerdings viele Krankheiten, die ein Carpaltunnelsyndrom auslösen oder mitverursachen, beziehungsweise verschlechtern können. Hierzu zählen alle Stoffwechselvorgänge, die eine Verengung des Carpaltunnels bewirken können, so etwa das Einlagern von Wasser im Rahmen der Schwangerschaft, eine Gewichtszunahme, Entzündungen der Handgelenkssehnen, die zu Ödem und Schwellung am Handgelenk führen können und somit häufig auch den Nervus medianus bedrängen. Weitere Erkrankungen die zu einem Carpaltunnelsyndrom beitragen können sind Diabetes mellitus (Zuckerkrankheit), Hypothyreose (Unterfunktion der Schilddrüse), rheumatische Erkrankungen wie die Polyarthritis, Akromegalie (grosse Zunahme der Hand bei Störung des Wachstumshormons), Amyloidose (Eiweissablagerung im Gewebe aus unterschiedlichen Ursachen) oder Sklerodermie (Autoimmunerkrankung des Bindegewebes). Nach Frakturen am distalen Unterarm oder am Handgelenk kann es zu einem posttraumatischen Carpaltunnelsyndrom kommen.
Beschwerdebild
Durch den Druck auf den mittleren Handnerven kommt es zu einer Irritation des Nerven mit Taubheit und Kribbeln der Hand und des Unterarmes, teilweise sind diese Missempfindungen auch sehr schmerzhaft. Der Schmerz kann im schlimmsten Falle bis in den Oberarm und die Schulter ziehen (Brachialgia paraesthetica nocturna). Die Erkrankung beginnt meist mit einem nächtlichen Kribbeln der Hand, welches im Verlauf von Monaten, manchmal auch Jahren, langsam fortschreitet. Die Betroffenen wachen aufgrund der Missempfindungen nachts auf, schütteln die Hand, woraufhin sich die Beschwerden in der Regel rasch zurückbilden. Im Frühstadium müssen diese Beschwerden nicht jede Nacht auftreten und sind daher nicht von dem normalen Einschlafen der Hand zu unterscheiden, wenn man auf ihr gelegen hat oder den Arm im Ellenbogen abgeknickt hat, sodass es aufgrund von Durchblutungs-störungen zu Kribbelparästhesien gekommen ist.
Obwohl der mittlere Handnerv nur die drei radialen Finger (Daumen, Zeigefinger, Mittelfinger) versorgt, ist nur bei einem Teil der Patienten die Symptomatik auf diese drei Finger beschränkt. Bei dem grösseren Teil der Patienten kribbelt oder schmerzt die gesamte Hand. Dies erklärt sich dadurch, dass der Nervus medianus zwar sensomotorisch nur die drei radialen Finger versorgt, zusätzlich jedoch auch vegetative Nervenfasern für die anderen Finger mit sich führt, und so die Schmerzen in die gesamte Hand und letztlich auch den Unter- und Oberarm ausstrahlen können.
Tagsüber werden die Beschwerden typischerweise durch Tätigkeiten ausgelöst, bei denen es zu einer Überstreckung oder Überbeugung im Handgelenk kommt, da hierdurch der Nerv besonders gedrückt wird. Entsprechende Tätigkeiten sind zum Beispiel Stricken, Kartoffel schälen, Fahrrad fahren, Auto fahren, oder telefonieren.
Ein typisches Carpaltunnelsyndrom (CTS) ist relativ einfach zu erkennen. Da es aber auch viele ungewöhnliche Präsentationen und Verläufe von Carpaltunnelsyndromen gibt, und das CTS sehr häufig ist, sollte generell bei jedem Schulter-Arm-Schmerz und jeder Missempfindung an der Hand differentialdiagnostisch auch ein CTS als mögliche Ursache erwogen werden.
Prognose
Bei sehr leichten Carpaltunnelerkrankungen kann sich die Symptomatik spontan wieder bessern und auch vollständig zurückbilden. Dies geschieht zum Beispiel häufig, wenn das Carpaltunnelsyndrom durch eine Schwangerschaft ausgelöst wurde. Nach der Niederkunft nehmen die gebärenden Frauen in der Regel rasch an Gewicht ab und verlieren auch das eingelagerte Wasser, sodass sich die Störung des Nervus medianus häufig rasch normalisiert. Dies ist allerdings nicht bei allen Schwangeren der Fall. Bei bis zu 50 %, je nach Studie, persistiert das Carpaltunnel-syndrom auch im Anschluss an die Schwangerschaft und muss dann gegebenenfalls aktiv behandelt werden.
Auch Carpaltunnelsyndrome, die im Rahmen von akuten Entzündungen am Handgelenk entstanden sind, bilden sich häufig mit erfolgreicher Behandlung der akuten Entzündung wieder vollständig zurück.
Bei den meisten Erkrankungen kommt es jedoch über Monate und Jahre zu einer langsamen Progredienz, die dann in einer permanenten Nervenschädigung enden kann. Für den Betroffenen bedeutet dies, dass dann die drei radialen Finger anhaltend taub sind und die sensorische Diskriminierungsleistung der Finger deutlich gestört ist. Obwohl diese Störung nicht Leib und Leben bedroht, stellt sie eine nicht unerhebliche Behinderung im Alltag dar, da dann kleine Gegenstände nicht mehr richtig gefasst werden können, so etwa eine Nähnadel und ein Faden. Auch kann eine Tastatur, so etwa am Computer, nicht mehr sicher bedient werden. Darüber hinaus kommt es dann auch zu einer Atrophie von zwei Daumenmuskeln (Musculus abductor pollicis brevis, Musculus opponens pollicis), sodass auch die Kraft der Hand, insbesondere auch der Faustschluss behindert sind. Aufgrund der sensomotorischen Ausfälle fallen betroffenen Menschen häufiger Dinge aus der Hand.
Diagnostik
Um ein entsprechendes Fortschreiten von einer unangenehmen Missempfindung zu einer doch unerwünschten Behinderung im Alltag zu verhindern, ist es notwendig, das Carpaltunnelsyndrom rechtzeitig zu diagnostizieren und, je nach Schweregrad, dann auch zu therapieren. Ist der permanente Nervenschaden durch eine langanhaltende Druckschädigung erst einmal eingetreten, dann sind meist nicht nur die Nervenhüllen (Myelinscheiden) geschädigt, sondern auch die für die Informationsleitung notwendigen Nervenfasern (Axone). Diese regenerieren in der Regel sehr schlecht, so dass sich die Schädigung meist nicht mehr vollständig zurückbilden kann, auch wenn noch eine Operation durchgeführt wird. Es gilt also bei dieser Krankheit daran zu denken, dass periphere Nerven generell sehr schlecht regenerieren, im Gegensatz zu anderen Gewebeformen, etwa dem Blut oder der Haut.
Der Goldstandard bei der Diagnostik eines Carpaltunnelsyndroms ist die Elektroneurographie (ENG). Hierbei werden die Nerven elektrisch gereizt und an anderer Stelle die Reizantworten gemessen. Dies kann für sensible und motorische Fasern getrennt geschehen. Es wird dabei einerseits die Signalstärke (Amplituden) und andererseits die Nervenleitgeschwindigkeit (NLG) beziehungsweise das Analogon am Handgelenk, also die motorische Überleitung gemessen. In seltenen Fällen kann es sinnvoll sein, die elektrophysiologische Untersuchung durch eine Ultraschalluntersuchung zu ergänzen. Hierbei können strukturelle Auffälligkeiten des geschädigten Nervens und Veränderungen am Handgelenk entdeckt werden, die möglicherweise besondere Berücksichtigung bei therapeutischen Massnahmen, insbesondere bei einer Operation, begründen können, welche der Chirurg natürlich gerne vor der Operation zur Kenntnis nimmt, damit er davon nicht erst während der Operation überrascht wird.
Behandlungsmöglichkeiten
Die meisten Carpaltunnelsyndrome verlaufen langsam progredient und benötigen daher eine Behandlung. Prinzipiell werden zwei Behandlungsformen unterschieden:
1. Die Behandlung mit einer Handgelenksschiene, welche nachts zu tragen ist.
2. Die chirurgische Intervention.
Zahlreiche Therapieformen werden immer wieder empfohlen, obwohl sie entweder vollständig nutzlos sind oder nur temporär leichte Besserung erbringen können. Hierzu zählen zum Beispiel Physiotherapie, lokale Schmerzsalbe, Schmerzmittel oral, Kortison Injektionen in den Carpaltunnel und natürlich auch das Gesund beten in allen möglichen Formen. Insbesondere sollte man sich von seinem Arzt keine lokalen Kortison Spritzen verabreichen lassen, da diese erstens nur eine temporäre Besserung erbringen können, und zweitens nicht selten zu einer permanenten Schädigung des Nervus medianus und auch der nahe gelegenen Sehnen am Handgelenk führen können. In diesem Falle entwickelt sich dann ein chronisches Schmerzsyndrom, welches sehr schmerzhaft sein kann und häufig schlecht behandelbar ist.
Bei leichten Carpaltunnelsyndromen kann eine Therapie mit Akupunktur wirksam sein. Bei mittelschweren und schweren Verläufen ist die Akupunktur allerdings nicht in der Lage, die Erkrankung aufzuhalten oder gar zu heilen.
Als erster Therapieschritt kann eine Handgelenksschiene getragen werden, die die Hand in der sogenannten «Neutral-Null-Stellung» stabilisiert. Hierdurch wird über Nacht verhindert, dass das Handgelenk überstreckt oder überbeugt wird, wodurch der Nervus medianus im Carpalkanal vermehrt gedrückt wird. Tagsüber können die Betroffenen selber darauf achten, dass sie das Handgelenk vorwiegend in der Neutral-Null-Stellung halten. Ansonsten kann eine solche Schiene auch tagsüber getragen werden. Bei leicht- bis mässiggradigen Carpaltunnelerkrankungen kann sich die Situation damit häufig stabilisieren.
Ist dies nicht der Fall, sollte eine chirurgische Operation erfolgen, damit das Carpaltunnelsyndrom nicht bis zur Behinderung mit sensomotorischen Ausfällen, wie oben beschrieben, fortschreitet. Mittel der Wahl ist entweder die offene oder die endoskopische Spaltung des Retinaculum flexorum, also des Bandes, das über dem Carpaltunnel liegt und sein Dach bildet. Die Operation ist für einen erfahrenen Handchirurgen technisch einfach und in der weit überwiegenden Anzahl der Fälle sehr erfolgreich. Das heisst, es findet in der Regel eine Ausheilung statt, Nebenwirkungen sind zwar möglich, allerdings selten. In sehr seltenen Fällen kann es nach mehreren Jahren zu einem Rezidiv eines operierten Carpaltunnelsyndroms kommen. Hier kann mit einer erneuten Operation Abhilfe geschaffen werden.
Kurzbiographie
Dr. Ralf Siedenberg wurde in Hamburg geboren und wuchs dort auf. Er studierte Medizin, Philosophie, Psychologie, Geschichte und Ökonomie an den Universitäten Hamburg, Edinburgh und London. Anschliessend lebte und arbeitete er in England, Schottland, den USA, Deutschland und aktuell in der Schweiz. Er ist Facharzt für Neurologie und leitet das Neurologicum Zürichsee.
Kontakt
https //www.neurologicum.ch - info(at)neurologicum.ch