«Die Allermeisten 50-Jährigen packen das»

Pasqualina Perrig-Chiello im Interview mit der «Bilanz» über Chancen und Risiken in der Lebensmitte. Und warum Männer mehr betroffen sind.
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Fast noch zu jung für grosse Aufgaben: Golden Agers (Bild: Shutterstock)

Und weshalb der Zugang zu Top-Jobs mit 50 besser ist denn je. Sie müssen aber etwas dafür tun.

Frau Perrig, wo verortet die Forschung die Lebensmitte, ab wann gilt man offiziell als "Senior"?
Als Lebensmitte gilt grundsätzlich die Spanne zwischen 40 und 60 Jahren. "Senior" ist, wer die staatlich verordnete Arbeitsgrenze von 64 beziehungsweise 65 Jahren erreicht hat. Obwohl das heute, da viele länger arbeiten wollen oder müssen, keine Rolle mehr spielt.

Was richtet die Zahl 50 mit den Menschen an?
In dieser Altersregion geschieht etwas, das man die "Radikalität des Nullpunkts" nennen könnte. Man langt quasi in einem Niemandsland an, ist nicht mehr jung und noch nicht alt. Identitätsfragen werden wichtig. Man rechnet nicht mehr so sehr in Jahren ab der Geburt, sondern mit der Zeit, die einem noch zu leben bleibt.

Gehen Frauen anders damit um als Männer?
Die Herausforderungen sind die gleichen, der Umgang ist aber unterschiedlich. Es tönt nach Klischee, bewahrheitet sich aber immer wieder: Frauen haben generell ein besser gestricktes soziales Netzwerk, unterhalten sich mit Kolleginnen, Freundinnen und Verwandten über den Umbruch. Männer haben häufig nur eine einzige Ansprechperson: ihre Frau. Extreme Krisen im Zusammenhang mit der Lebensmitte sind bei Männern häufiger als bei Frauen.

Vieles verschlechtert sich nach 50. Verbessert sich auch irgendetwas?
Was sich ganz bestimmt verbessert, ist die kristalline Intelligenz. Also die Kombination aller Fähigkeiten, die man im Laufe seines Lebens erworben hat - die Erfahrung.

Jüngeren Chefs ist die Erfahrung der über 50-Jährigen oft lästig. Sie wollen Mitarbeiter mit aktuellem Know-how.
Dieses Thema dringt immer wieder zu mir. Am Arbeitsplatz herrscht diesbezüglich eine gewisse Kurzsichtigkeit. Wissen mag heute zwar schneller veralten als früher. Aber wer sich von Mitarbeitern trennt, die grundlegendes Fachwissen haben, wird sich dieses Know-how früher oder später wieder einkaufen müssen.

Seniors begeistern sich nicht mehr für die zehnte Reorganisation und können demotivierend wirken.
Natürlich muss sich das Individuum an die neuen Zeiten anpassen. Sätze wie "Das hat schon 1979 nicht geklappt" mag keiner hören. Wer solches sagt, schaufelt sich im Berufsleben quasi sein eigenes Grab. Es ist eine Realität, dass im Alter über 50 ein darwinistischer Ausscheidungsprozess stattfindet in der Wirtschaft. Aber die allermeisten packen das. Sie erkennen Weiterbildung als Kernthema. Und die Chefs sehen ein, dass gemischte Teams - Elan und Tempo von Jungen, Erfahrung und Einschätzung von Älteren - Erfolg bringen.

Pasqualina Perrig Chiello (59) ist Honorarprofessorin an der Uni Bern. Ihre Themen: Lebensmitte und Generationenbeziehungen.

Am Drücker
Mit 50 zu alt für alles?
Nein, für einige Top-Jobs ist man dann sogar noch zu jung. Natürlich stehen mit 50 nicht mehr alle beruflichen Optionen offen, die Stellensuche wird nicht einfacher. Und doch: Bei vielen begehrten Positionen liegt der Altersschnitt um einiges darüber. Zeit, für Furore zu sorgen, hat man in der Lebensmitte jedenfalls noch genug: Männern, die heute 50 sind, bleiben in der Schweiz durchschnittlich 32, Frauen gar 36 Jahre Lebenszeit.

Das Durchschnittsalter bei wichtigen Schweizer Positionen:
CEO einer SMI-Firma: Gemäss Schillingreport liegt das Durchschnittsalter der 20 SMI-CEOs bei 53 Jahren.
VR-Präsidenten der SMI Firmen: Durchschnittlich 61 Jahre alt. Der Schnitt aller SMI-Verwaltungsräte liegt bei 60 Jahren.
Bundesrat: Das Durchschnittsalter liegt bei 54 Jahren. Ausreisser nach unten: Alain Berset mit 41. Ältestes Mitglied: Ueli Maurer mit 62.
Parlament: Das Durchschnittsalter im Ständerat lag nach der letzten Gesamterneuerungswahl (2011) bei 55 Jahren. Einiges tiefer (50) war es beim Nationalrat. 2007 und 2003 lag es mit 51 beziehungsweise 52 etwas höher
Fussball-Nationaltrainer: Fussball- "General" Ottmar Hitzfeld hat die Schweizer Nati mit 64 WM-tauglich gemacht. Die zuletzt genannten Kandidaten für seine Nachfolge sind alle über 50: Marcel Koller (52), Pierluigi Tami (52), Christian Gross (59). Lucien Favre (55) hat sich selber aus dem Rennen genommen.

Strategien, Tipps und Websites für Fachkräfte über 50 Jahre:

  • Vom Passiv- in den Aktivmodus wechseln, quasi sein eigener HR-Manager werden.
  • Nicht darauf hoffen, dass der Betrieb die gute Lösung findet, sondern den Karriereabend als Bringschuld verstehen und offen bleiben für Weiterbildungen. Zu solchen Offensiven raten in der Regel alle Spezialisten für das ältere Berufssegment.
  • Checkup: Dass man nach 50 in regelmässigen Abständen seinen Gesundheitszustand vom Arzt checken lässt, ist normal. Genauso sollte man es auch mit seiner Employability halten, seiner Beschäftigungsfähigkeit: alle fünf Jahre eine Standortbestimmung vornehmen
  • CV verjüngen: Bei Bewerbungen den Lebenslauf ausmisten: fokussieren auf Leistungen und Erfolge in jüngerer Vergangenheit.
  • Weiterbildung richtig wählen: Nicht beim nächstbesten MAS oder CAS aufspringen. Besser das Thema zunächst mit Personaldienst und/oder Linienvorgesetzten besprechen. Was wird benötigt, welche Position wäre damit zu erreichen oder zu sichern?
  • Arbeitspensum drosseln: Wenn es die finanziellen Verhältnisse zulassen, kann mit einem leichten Job-Downshift mehr Erholungszeit gewonnen werden.
  • Web: Jobintegrationsprojekt: www.mc-t.ch/index.php/power50-plus; Demographie Netzwerk Schweiz: www.wdaforum.org; Impulse für mehr Generationenfairness: www.poweraging.org.

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