Die Wahrheit über das Liebesleben im Alter

Ältere Männer haben häufig mit Potenzproblemen zu kämpfen. Einige sind behandelbar, andere nicht. Thomas-Alexander Vögeli kennt die Nöte der Männer bestens.
Erektion, Ejakulation,
Alles, was Sie schon immer über das Liebesleben im Alter wissen wollten (Bild: Fotolia)

Herr Professor Vögeli, ich bin jetzt 56 Jahre alt. Gelte ich urologisch schon als alter Mann?

Vögeli: "Nee, urologisch sind Sie jung. Unser durchschnittlicher männlicher Patient ist 70 Jahre alt."

Wann beginnt die sexuelle Alterung?

"Die ist nicht definiert. Beim Mann denkt man an die Impotenz, also das Versagen der Erektion, aber die hängt vom Lebensstil ab. Wer am Tag zwei Packungen Zigaretten raucht, wird sehr früh eine erektile Dysfunktion haben."

Auf Deutsch, bitte!

"Der Penis wird nicht steif."

Dabei könnte das Liebesleben mit zunehmendem Alter immer besser werden.

"Ist ja auch oft der Fall. Es gibt junge Leute, die behaupten, sie kennen sich aus wie verrückt. Aber in Wirklichkeit weiss kaum einer in diesem Alter, wie toll es sein kann, wenn man mehr Erfahrung hat. Wenn man als 40- oder 50-Jähriger jemanden gut kennt, läuft Intimität eben viel entspannter ab als mit 20 oder 25."

Was ist dem Mann wichtiger: Stärke oder Dauerhaftigkeit der Erektion?

"Das hängt miteinander zusammen. Aber viele wissen in der Materie auch gar nicht Bescheid. Es gab mal eine Umfrage unter Männern, die wurden gefragt, was eine Erektion und was eine Ejakulation war. Viele wussten nicht, was jetzt was war. Für die war es ein Ding."

Hören Sie das in der Sprechstunde?

"Ja. Da kommen viele, die sagen: Herr Professor, da geht nichts mehr bei mir. Da muss man sich vorsichtig herantasten, was er meint. Mancher kann gar nicht mehr, aber mancher hat jetzt nur noch 15 Minuten lang eine Erektion statt früher 30 Minuten. Das betrachtet er bereits als Einbruch der Männlichkeit."

Was sagt der Urologe zum Verhältnis von Impotenz und Lust?

"Wie meinen Sie?"

Na, man kann Lust haben und keinen hochkriegen, keine Lust haben und trotzdem einen hochkriegen und keine Lust haben und auch keinen hochkriegen.

"Gibt es alles. Wenn Sie keine Lust haben, können Sie so viel Viagra nehmen, wie Sie wollen, Sie werden keine Erektion bekommen"

Manche Männer glauben, Viagra entfache ihre Lust erst.

"Nix da, Viagra wirkt einzig auf die Gefässe und hat nichts mit Lust zu tun. Bis heute sind wir medizinisch nicht in der Lage, Lust professionell zu beeinflussen. Es gibt Medikamente in der Neurologie, die im hohen Alter allerdings zu ganz schrecklichen Exzessen führen, so dass die Frau zu mir kommt: Setzen Sie bitte das Medikament wieder ab, meinen Mann kenne ich gar nicht wieder, der geht mit 76 Jahren über Tische und Bänke. Also die Tablette, die gezielt und dosiert Libido auslöst, gibt es nicht."

Es gibt ja den Spruch: Je oller, je doller. Stimmt er?

"Nun ja, alte Männer reden gern vom Krieg. Doller ist vor allem das Reden darüber. Das hat aber oft nur wenig mit der wirklichen Aktivität zu tun."

Haben Männer auch in höherem Alter häufiger Lust als Frauen?

"Statistisch gesehen: ja."

Ist das ein biologisches Missgeschick?

"Es gibt Erklärungsversuche, die sagen, dass in früheren Zeiten ältere Frauen für Kinder, Feuer, Herd zuständig waren; wenn die auch noch sexuell sehr aktiv gewesen wären, dann hätte das System Schaden genommen. Beweisen kann diese Theorien keiner. Sicher ist aber, dass viele Frauen bei der Sexualität früher abschalten als Männer."

Woran merkt der Urologe, wie wichtig einem Mann dieses Thema ist?

"Wir müssen ja mit manchen Männern etwa bei Krebs darüber reden, dass sie nach der OP ihre Erektionsfähigkeit verlieren. Und wenn man die nach ihren Erektionen fragt, sagen die Männer oft: Bombig! Und die Frauen im Hintergrund wiegen schon bedenklich ihren Kopf. Wenn die Männer nun aber erfahren, dass sie nach der OP nicht mehr können, sagen viele: Och, kein Problem, Hauptsache, der Krebs ist weg. Wir wissen aber, dass mit zeitlichem Abstand zur OP das Thema Sexualität wieder nach oben kommt und zu einem wichtigen Faktor wird."

Und wie sehen die Frauen das, dass ihre Männer dann impotent sind?

"Dazu gibt es dummerweise kaum Untersuchungen. Aber die Wahrheit ist: Die allermeisten Frauen sind da eher nachsichtig."

Sind Frauen empathischer?

"Weiss ich nicht, Sie finden sich aber besser damit ab. Sie definieren sich auch nicht so darüber. Frauen lassen sich nicht nach 35 Jahren scheiden, wenn ihr Mann nach einer OP impotent wird. Frauen tun so etwas nicht. Männer umgekehrt schon: Es gibt nicht wenige Männer, die sich scheiden lassen, wenn ihre Frau bei Krebs am Unterleib operiert werden musste."

Sind Männer da gnadenlos?

"Die Statistiken sagen, dass sie es sind. Sozial eingestellt sind sie auf diesem Gebiet jedenfalls nicht."

Sind Frauen sexuell anders gepolt?

"Ich bin keine Frau. Ich weiss es nicht. Das Thema ist bei Männern auch heute noch durch Erziehung, soziale Prägung und Testosteron anders definiert als bei Frauen. Die sind da einfach gelassener."

Ist der Mann heute anders als der Mann vor 100 Jahren?

"Klar, der 60-Jährige vor 100 Jahren war ein alter Mann. Da ist aber auch über Sexualität gar nicht gesprochen worden. Völlig undenkbar. Heute ist der 60-jährige Mann einer, der noch eine Lebensversicherung abschliesst und eine Dauerkarte auf der "Aida" löst. Vollkommen andere Denkweise. So ganz gesund ist das aber nicht, denn dieser Jugendlichkeitswahn ist natürlich endlich. Früher hat ein 78-Jähriger gesagt: Lieber Gott, ich danke dir für ein erfülltes Leben. Heute habe ich einen 78-Jährigen in der Klinik, bei dem ist Krebs wiedergekommen, und er sagt: Herr Doktor, ich möchte morgen nicht sterben!

Was sagen Sie ihm?

"Sie werden morgen nicht sterben, aber trotzdem können Sie theoretisch jeden Tag sterben, Sie sind 78. Wir haben eine überlastige Einstellung zur Jugendlichkeit, da wird auch viel Geld reingepulvert."

Ich las dieser Tage eine Anzeige, in der ein Spray beworben wurde, das eine sofortige Erektion versprach. Da stand nichts von einem Wirkstoff ausser, dass es ein Aphrodisiakum sei.

"Aphrodisiaka wirken nicht im Penis, sondern im Kopf."

Der Hersteller verspricht Rückerstattung des Geldes, wenn es nicht wirkt.

"Das würde ich für Schwachsinn halten. Es gibt lokal wirksame Medikamente, aber die sind rezeptpflichtig."

Und es gibt kein Urwald-Kraut, das der Urologe noch nicht kennt?

"Es gibt kein Gebiet, auf dem die Placebo-Wirksamkeit so stark ist wie bei der Erektion. Wenn Sie jemandem ein Mittel geben und sagen, hier, das ist aus der Rinde der australischen Super-Eibe, das haben schon die Maori genommen, um eine Riesenerektion zu bekommen, dann werden Ihnen 15 bis 20 Prozent der Männer berichten, sie hätten hinterher Bombenerektionen gehabt. In Wirklichkeit kann man Erektionen sehr genau messen."

Wie denn?

"Indem Sie nachts eine Manschette um den Penis legen, dann wissen wir, was passiert. Und ausser jenen gefässaktiven Substanzen wie Viagra, Cialis, Levitra oder Spedra gibt es im brasilianischen Urwald keine Megapflanze, mit der man auf geheimnisvolle, aber sichere Art eine Erektion hinzaubert."

Ist die morgendliche Erektion im Bett ein gutes Zeichen?

"Ja, ein sehr gutes Zeichen."

Es gibt Männer, die etwa Diabetes und Bluthochdruck haben, bei denen sich diese morgendliche Erektion nicht automatisch einstellt?

"Ja, da hat das System bereits Schaden genommen. Nächtliche Erektionen sind ein Gardemass dafür, was an funktionsfähigem Gewebe da ist. Diese nächtlichen, unwillkürlichen Erektionen können Sie nicht beeinflussen. Sie können auch vom Schrottplatz träumen, Erektionen veranstaltet der Körper nachts einfach zu Trainingszwecken. Wenn sie weg sind, dann sind sie weg. Das wird auch vor Gericht so gesehen."

Wie das?

"Na, wenn ein Mann auf den Vorwurf, er habe eine Frau vergewaltigt, erklärt, er sei impotent und könne es nicht gewesen sein, muss man den "Rigiscan" machen. Dann sieht man, ob er die Wahrheit sagt."

Ist das der Lügendetektor der Potenz?

"Genau das ist er. Zur Messung der nächtlichen Erektion werden zwei Messschlaufen direkt am Penis platziert. Und bei der Auswertung sieht man, was nachts passiert ist - oder was nicht."

Bei manchem Mann muss man die Blutdruckmedikamente ändern, schon verbessert sich seine Erektion.

"Wohl wahr. Solche Patienten habe ich viele. Die nehmen einen Betablocker und haben keine Erektion mehr, und wenn sie ihn gegen ein anderes Medikament austauschen, ist sie wieder da. Wenn einem Mann eine Dreier-Kombination an Blutdrucksenkern verschrieben wird, kann er aus pharmakologischen Gründen keine Erektion mehr bekommen. Das geht einfach nicht."

Es gibt auf der anderen Seite verschiedene Medikamente, die ältere Männer schon mal nehmen müssen, die die Ejakulation verändern.

" Ja. Tamsulosin etwa, das bei gutartiger Prostatavergrösserung verschrieben wird, verhindert in 50 Prozent der Fälle eine Ejakulation, obwohl man einen Orgasmus hat."

Und wenn man wegen dieser Indikation operiert werden muss?

"Dann geht der Samen nach hinten in die Blase."

Ist es wirklich so, dass viele Menschen das Thema "Intimität im Alter" für eher unappetitlich halten?

"Ja. Ich will das jetzt gar nicht bewerten, aber das ist in uns drin. Intimität hat nach althergebrachter Vorstellung ja auch mit Fortpflanzung zu tun, und die Vorstellung, dass sich 80-Jährige miteinander vergnügen, ist für viele nicht sehr attraktiv."

Haben auch Frauen da Probleme?

"Ja, wenn sie zum Beispiel eine Stress-Inkontinenz haben, von der 30 bis 40 Prozent aller Frauen über 60 Jahren betroffen sind. Und bei Erhöhung des Drucks im Bauchraum kommt es dann zu ungewolltem Urinabgang. Und wenn Sie sich jetzt die Missionarsstellung vorstellen - also Mann oben, Frau unten -, dann kommt es zwangsläufig dazu- Nicht nur in meiner urologischen Vorstellung ist das eher unhygienisch. Es ist gut möglich, dass eine Frau deshalb sagt: Ich möchte lieber keinen Sex."

Welche Stellungen sind da besser? Die Position des Mannes unter oder hinter der Frau?

"Wahrscheinlich beide, dazu gibt es aber keine Studien."

Inkontinenz betrifft aber nicht nur die Frau, oder?

"Nein, auch den Mann, wenn auch weniger. Für viele ältere Menschen ist das die Begleitmusik ihres Lebens. Es gibt kein Thema, bei dem so gelogen wird wie bei Sex und Kontinenz."

Sie haben eben über das Bett gesprochen, in dem sich manches Malheur ereignen kann. Sind wir eigentlich, was das Thema Sexualität betrifft, überhaupt zu sehr aufs Bett fixiert?

"Jeder hat in jüngeren Jahren doch mal im Auto rumgemacht, und gestern kam ich beim Zappen auf den alten Film "Eis am Stiel", da kann man noch etwas lernen. Aber ich glaube nicht, dass 68-Jährige noch Lust darauf haben, über die Mittelkonsole eines SUV zu klettern."

Das Bett ist in unserer Vorstellung als Hauptaustragungsort von Sex drin?

"Ja, ich habe Patienten, bei denen folgt das Intimleben einem Rhythmus: samstags oder sonntags."

Aber wie soll es auch sonst gehen, wenn berufstätige Menschen morgens um 5.45 Uhr aufstehen müssen?

"Ja, aber auch Ältere machen das so, obwohl sie gar nicht mehr arbeiten. Die haben da so einen komischen Algorithmus drin. Und der wird auch nicht diskutiert. Das ist eine Vereinfachung des Lebens."

Manchen Mann setzt aber selbst dieser entspannte Zeitplan unter Druck.

"Tatsächlich habe ich manchen Patienten, der mal drei Wochen nicht mit seiner Frau geschlafen hat und nun fürchtet, dass seine Frau an seiner Liebe zweifelt. Da zweifle ich eher an diesem Mann."

Kann ein Mann beim Sex sterben?

"Sehr, sehr selten. Die Missionarsstellung ist für den Mann so anstrengend wie Treppensteigen über zwei Stockwerke. Schafft er das, kann er bedenkenlos Sex haben. Andere Stellungen sind aus kardiologischen Gründen ganz unbedenklich. An Sex stirbt man nicht, auch nicht, wenn man ab und zu Viagra nimmt. "

"Männer wollen immer. Frauen können immer. Was Männer über Sexualität wissen sollten" von Thomas Vögeli und Peter Jamin, mvg-Verlag, 254 Seiten. 


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