GENERATION-CLASH
«Wohnen in der Stadt nur noch für Reiche?»
Die Nachwuchsjournalistin und der bekannte Autor stellen sich deshalb im «Blick am Abend» gegenseitig Fragen, um den Generation-Clash etwas abzufedern - oder sich gar gegenseitig zu verstehen.
"Elder Statesman" Jürg Ramspeck fragt:
Liebe Joëlle,
in meiner Jugend galt es als erstrebenswert, in der Stadt zu arbeiten und auf dem Land zu wohnen. Das gilt heute offenbar auch für Polizisten, von denen nur gerade jeder Zehnte in der Stadt, in der er seinen Beruf ausübt, domiziliert ist - vielleicht nur, weil Wohnungen in der Stadt Zürich für Polizistengehälter unerschwinglich sind. Und wie ist das bei dir? Bist du eine eingefleischte Städterin, oder könntest auch du dir vorstellen, eines Tages deinen Haushalt in die grüne Agglomeration zu verlegen?
"Young Küken" Joëlle Weil antwortet:
Lieber Herr Ramspeck,
Sie haben es richtig formuliert: Auf dem Land "wohnt" man, in der Stadt hingegen lebt man. Alle Klischees, die je über Stadtzürcherinnen und -zürcher existiert haben, werde ich nun bestätigen. Lieber lebe ich in einer winzigen Einzimmerwohnung in der City als in grosszügigen 90 Quadratmetern in der Agglo. Die Stadt ist für Menschen da, die vom Leben nicht genug kriegen. Für Menschen, die spontan von einem breiten kulturellen Angebot profitieren möchten. Ich möchte mir nicht drei mögliche Zugverbindungen raussuchen müssen, um kurz am Bellevue Kaffee trinken zu können. Ich möchte nach einer Aufführung in der Maag Event Hall nicht mit allen vor dem XXL-Bildschirm stehen, um die S76 auf der Tabelle suchen zu müssen. Unsere Stadtpolizisten bedaure ich und fühle mit ihnen. Dieses Beispiel zeigt besser als jedes andere, wie verrückt die Mietpreise in der City sind. Ist es denn nun tatsächlich so, dass die Stadt Löhne auszahlt, mit denen man sich ein Leben in ihr nicht ermöglichen kann? Oder umgekehrt: Sind die Mietpreise hier denn so unerschwinglich, dass nicht mal Stadtarbeiter sie sich leisten können? Das ist doch totaler Irrsinn! Eine Stadt, in der nur noch Wohlhabende wohnen können, verliert nicht nur an kultureller Vielfalt, sie verliert vor allem an Charakter. Wir steuern auf dieses Szenario zu. Es ist einmal mehr an der Zeit, sich darüber Gedanken zu machen, um nicht nur uns Jungen die Tür zur freien Wohnwahl zu öffnen.
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