Beruflicher Neuanfang mit 50 plus

Eine berufliche Veränderung kann auch im reifen Alter gelingen. In manchen Fällen beginnt sie jedoch mit einem Schock, schreibt M.Keil auf «www.abendblatt.de».
Beruflicher Neuanfang mit 50 plus
Es ist für 50plus nie zu spät, etwas Neues zu lernen.

Kündigung mit über 50? Gerlinde Suling hat das erlebt. Vor drei Jahren wurde der IT-Angestellten von ihrem Arbeitgeber gekündigt. Suling war 51 Jahre alt. Was nun? "Ich war zuvor 22 Jahre als IT-Fachkraft in einem grossen Konzern beschäftigt, danach drei Jahre lang in einem kleinen Softwarehaus tätig.

Bis dieses wegen Umsatzeinbussen Mitarbeiter entlassen musste." Ein Schock. "Was mache ich jetzt?", fragte sich die IT-Expertin. Und es kam der Gedanke auf, irgendwie sollte das wohl ein Zeichen sein. Heute ist Gerlinde Suling als IT-Expertin selbstständig. Sie berät vorwiegend Frauen, ist zufrieden mit ihrer neuen beruflichen Situation.

Kündigung, Burn-out, Unzufriedenheit, Überforderung, Unterforderung - dies sind nur einige Gründe für eine berufliche Veränderung im reifen Alter. "Zu mir kommen viele Menschen, darunter sind auch etliche über 50 Jahre, die sich die Frage stellen: Was möchte ich eigentlich beruflich machen, und wie setze ich das um?", sagt die Trainerin Julia Glöer.

Sie betreibt seit zwölf Jahren das PLB-Institut und vermittelt unter dem Titel Life-Work-Planning in Seminaren und Trainings spezielle Methoden, um den beruflichen (Wieder-)Einstieg zu planen und zielgerichtet Kontakte in der Wunschbranche aufzunehmen. Diese Kontakte befassen sich mit der Stellensuche auf dem verdeckten Arbeitsmarkt.

"Ein hohes Alter ist bei schriftlichen Bewerbungen ein absolutes K.-o.-Kriterium. Ausserdem werden mehr als 50 Prozent der freien Stellen über Kontakte vergeben. Und genau diese Kontakte haben Stellensuchende nicht, besonders wenn sie sich in einem neuen Bereich bewerben möchten, in dem sie zudem über keine Berufserfahrung verfügen.

Deshalb können sie sich nicht schriftlich bewerben", fasst Glöer die Probleme zusammen, vor denen viele Neuanfänger stehen. Der erste Schritt sei jedoch, genau festzustellen, was man in Zukunft beruflich machen möchte. Und dann Kontakte zu knüpfen.

"Wir haben bei Frau Glöer einen wertvollen Koffer an Handwerkszeug bekommen und auch in der Praxis ausprobiert", sagt Gerlinde Suling, die vor drei Jahren einen Zwölf-Tage-Kurs im PLB-Institut besuchte, gemeinsam mit 13 anderen Teilnehmern. Darunter einige über 50 Jahre.

Besonders hilfreich sei der Austausch innerhalb der Gruppe gewesen - ein gewolltes Konzept. Zunächst mussten alle jedoch Fragen beantworten wie: Wobei habe ich mich in meinem Leben richtig gut gefühlt? Wie stelle ich mir meinen Wunschjob, -chef vor? "Es ging um positiv erlebte Situationen und Erfahrungen, aber auch um Visionen", sagt Gerlinde Suling.

In der Lebensmitte machen viele Menschen eine Bestandsaufnahme und stellen sich die Sinnfrage: Was gibt meinem Leben - auch beruflich - Sinn, was nicht? "Menschen, die meine Seminare besuchen, müssen oder möchten sich beruflich neu orientieren. Sie wissen aber oftmals noch nicht, welcher Tätigkeit sie sich zuwenden und welchen Weg sie einschlagen wollen", sagt Julia Glöer.

Viele Seminarteilnehmer verbieten sich sogar den Wunsch nach einem "Traumjob". Er scheint ihnen unrealistisch, denn sie rechnen sich wenig Chancen auf dem Arbeitsmarkt aus. Andere stellen für sich fest: Meinen Job schaffe ich nicht weitere 15 Jahre und will das auch nicht. Aber: In der Regel können Menschen mehr erreichen, als sie zunächst annehmen.

Glöer: "Ich arbeite in meinen Seminaren mit Methoden, mit denen die Teilnehmer in einer Gruppe von Gleichgesinnten ihre persönlichen beruflichen Ziele ausloten und eine völlig neue Art der Stellensuche lernen, mit der diese Ziele oftmals erreichbar sind." Sie erleben durch das Seminar, wie viel sie können und dass sie gute Chancen haben, diese Fähigkeiten im Erwerbsleben einzubringen.

Die 57-Jährige verfolgte zunächst 25 Jahre lang eine Karriere als Managerin in der Finanzbranche, um sich dann mit 54 Jahren als Kunsthändlerin selbstständig zu machen. Aus ihrem leidenschaftlichen Hobby wurde ihr neuer Beruf. Seit Herbst 2010 zeigt und verkauft Renate Krümmer ihre Schätze auf Messen mit wachsendem Erfolg.

Auch ehemalige Kollegen aus der Finanzbranche zählt Krümmer inzwischen zu ihren Kunden, "die vertrauen mir, weil sie wissen, ich spreche ihre Sprache, da kann ich dann beide Welten miteinander verbinden". Renate Krümmer ist eines von insgesamt zehn sehr unterschiedlichen Beispielen, die die Autoren Katharina Daniels, Manfred Engeser und Jens Hollmann in ihrem Buch "Sieg der Silberrücken - Beruflicher Richtungswechsel in der Lebensmitte" vorstellen.

"Die vielfach noch in Unternehmen verbreitete Ansicht, dass wir mit 50 oder 60 schlechter lernen oder arbeiten, ist längst wissenschaftlich durch Hirnforscher widerlegt", sagt Autorin Daniels.

So stellt die New Yorker Alternsforscherin und Psychologin Ursula M. Staudinger fest: "Ältere lernen weder besser noch schlechter als die Jungen. Sie lernen anders." Das sogenannte Erfahrungswissen befähigt zur Kombination von Wissen, Können und Geschehnissen, die neue, bisweilen überraschende Erkenntnisse erzeugen kann - und ein präzises Urteil ermöglichen.

"Das Veränderungspotential der Älteren ist immens", so die Professorin, die auch die Deutsche Bundesregierung in Altersfragen berät. Und: "Wir haben mehr Lebenszeit, die wir sinnvoll füllen können - aber wir müssen sie auch nutzen und gestalten." Auf schöpferisches Gestalten setzt Birgit Dierker in ihrem Atelier, die sich mit knapp 50 Jahren aus einer sicheren Beamtenposition heraus als BusinessCoach und Künstlerin selbstständig gemacht hat.

"Gerade die über 50-Jährigen haben aufgrund ihrer vielen Erlebnisse einen guten Zugang zu ihrer Intuition und erkennen schnell, ob etwas zu ihnen passt." Die Arbeit mit Bildern, Metaphern, Mindmaps, in geführten Bilderreisen oder im Raum ermöglicht Dierkers Klienten eine neue Sichtweise auf die Landkarte ihrer inneren Bilder.

Einige - wie kürzlich ein 54-jähriger Manager - malen sich auf einer grossen Leinwand frei. Dierker: "Plötzlich tauchen Ideen auf, die tief vergraben waren." Ein Controller und Unternehmensberater, im Job unglücklich und ausgepowert, wurde nach der gemeinsamen Arbeit Besitzer eines kleinen Weinlokals.

Sich aus Vertrautem zu lösen und beruflich unbekanntes Gelände zu betreten erfordert Mut. Davor scheuen viele Menschen zurück. "Selbstverständlich gehen wir mit dem Unbekannten ein Risiko ein. Das weitaus grössere Risiko kann aber darin bestehen, nichts zu tun und an unseren gewohnten Verläufen festzuhalten", schreibt Buchautorin Daniels.

",Woher soll ich wissen, ob etwas, was ich noch nicht kenne, mich tatsächlich glücklich macht?' ist eine Frage, mit der Menschen zu mir kommen", sagt Dierker. Gemeinsam entstehen dann aus einem Bild und einer Vision greifbare Dinge. "Die kindliche Neugier, das Vertrauen in unsere Kräfte und das Bewusstsein, dass wir nur gewinnen können, wenn wir wachsen, sind in dieser Arbeit sehr wichtig", sagt Dierker.


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