Hirncoach-Kolumne
Schreiben für Gehirn und Herz
An solchen Tagen nutze ich mein Tagebuch als Stromableiter für Hirnaktivitäten aller Art. Sehr schnell werden meine Gedanken dadurch klarer und das Rauschen des Alltags verschwindet. Dazu atme ich bewusst aus und erlebe die Entspannung sowohl mental als auch körperlich.
In meinem Tagebuch versuche ich regelmässig die Frage, was mir heute wichtig war, zu beantworten. Dadurch habe ich weniger Angst, dass mir die Zeit zwischen den Fingern zerrinnt und erlebe, wie mich das Zurückschauen dankbar und zufrieden stimmt.
Meine subjektiv erlebten Effekte von Tagebuchschreiben sind weder neu noch überraschend: Die Wissenschaft sieht es inzwischen als nachgewiesene Tatsache, dass Menschen, die ihre Gedanken und Gefühle regelmässig aufschreiben, ein gesünderes und glücklicheres Leben führen.
Die Schlussfolgerungen vieler wissenschaftlicher Studien gehen sogar so weit, dass sie das Tagebuchschreiben als eine der mächtigsten Gewohnheiten definieren, die wir – vergleichbar mit regelmässigem Betreiben von sportlichen Aktivitäten – in unseren Alltag integrieren können.
Falls diese Gewohnheit noch nicht – oder nicht mehr – Teil Ihres Alltags ist, möchte ich hier einige der nachgewiesenen Effekte kurz zusammenfassen, in der Hoffnung, dass ich Sie damit ermutigen kann.
Allem voran steht der Effekt des gestärkten Erinnerungsvermögens. Wenn wir uns an mehr Lebensereignisse erinnern können, trägt dies zum Ausbau unseres autobiographischen Wissens bei. Dies formt einerseits unsere Identität und dient andererseits als Basis für alles andere Wissen, das wir uns aneignen.
Das Aufschreiben von Erlebtem ist somit eine der besten Anti-Demenz-Prophylaxe: Nur starke Verbindungen zu wichtigen autobiografischen Gedächtnisinhalten schaffen eine solide Grundlage für unser Wissen und Können, und damit auch für das Lernen von Neuem.
Weiterhin zeigen Studien, dass expressives Schreiben, das heisst das Aufschreiben von Erlebnissen und Gefühlen, die Sprachkompetenz fördern und uns helfen, dass wir uns auch mündlich gut ausdrücken können. Damit verbunden fördert Tagebuchschreiben allgemeine intellektuelle Fähigkeiten, Kreativität und Problemlösungskompetenz.
Genauso stark wie die kognitiven Effekte ist zudem die Wirkung auf den Körper: Tagebuchschreiben stärkt unser Immunsystem. So können auch negative Erlebnisse durch Schreiben verarbeitet und unsere Gesundheit damit geschützt werden, weil uns die Erlebnisse weniger belasten.
Fallstudien zeigen eindrücklich, dass auch körperliche Erkrankungen (z.B. Asthma) durch expressives Schreiben gelindert werden können.
Eine speziell positive Wirkung hat das Aufschreiben von Dingen, für die wir dankbar sind. Es reduziert unseren Stresslevel und verbessert unsere Schlafqualität. In der positiven Psychologie wird das Dankbarkeits-Tagebuch als das Glücks-Werkzeug schlechthin gefeiert: Menschen, die regelmässig Erlebtes und Dankbarkeit schriftlich festhalten, sind zufriedener mit ihrem Leben.
Und wer zufrieden mit dem eigenen Leben ist, behandelt andere Menschen besser. So erstaunt es nicht, dass Studien eine Wirkung von Tagebuchschreiben auf soziales Verhalten sowie auf bessere Beziehungen zeigen konnten.
Kurzum, vom Tagebuchschreiben profitiert unser ganzes Dasein. Sollten Sie jetzt trotzdem einwenden, dass Sie im hektischen Alltag zu wenig Zeit dafür finden, kann ich Sie beruhigen: Wir Wissenschafterinnen und Wissenschafter empfehlen 15 Minuten (Dankbarkeits-) Tagebuch vor dem Einschlafen.
Ich bin davon überzeugt, dass wir alle täglich diese freie Viertelstunde finden können und sie gut investierte Zeit ist – weil dankbares Zurückschauen uns zu zuversichtlichem Vorausschauen verhilft.