«Sind wir nicht mehr liebesfähig?»

Kürzlich sprach unsere Kolumnistin Andrea Micus mit einer bekannten Heiratsvermittlerin. Die hat schon hunderte Paare zusammengeführt.
Liebesfähigkeit, Erotik, Liebe
Liebesfähigkeit wieder herstellen (Bild: Fotolia)

Doch seit einiger Zeit läuft es mit der Vermittlung holprig. Ihr Fazit: „Bei vielen meiner Klienten dreht sich alles nur noch um ihre eigene Selbstverwöhnung. Sie sind nicht mehr liebesfähig!“

Woran liegt das?

Hirnforscher haben herausgefunden, dass Glück durch Wohlstand und Erfolg gefördert wird, aber auch durch Bewegung, Vielseitigkeit und Intimität. Doch an erster Stelle steht die Liebe. Und da beginnt das Problem. Ansehen, Wohlstand, sportliche Leistung können wir durch eigenes Bemühen erreichen. Liebe ist dagegen ein Geschenk. Man kann sie nicht willentlich herbeiführen. Sie kommt oder sie kommt nicht. Man kann nur versuchen, sie zu finden und zu erhalten, wenn sie da ist. Und sie ist nicht zu steuern. Das macht sie zum Spiel, einem gefährlichen. Wenn uns Emotionen packen, verlieren wir schnell die Kontrolle über die Abläufe. Der Egoist wird selbstlos, der Geizige grosszügig, der Aggressive sanft. Entfernung ist plötzlich unwichtig, Geld bedeutet nichts, eben so wenig wie Risiken und soziale Schranken. Liebe veralbert den Verstand! 

Und genau das macht uns Angst. Wir fürchten uns vor dem Kontrollverlust und davor, verletzt zu werden. Unsere Liebesfähigkeit, die Fähigkeit der offenen, positiven Zuwendung, ist besonders im fortgeschrittenen Alter durch Furcht vor Enttäuschung gestört. Wir sind im Laufe der vielen Jahre durch negative Erfahrungen verhärtet und gepanzert, haben gelernt, Gefahren zu erkennen und zu umgehen, was am leichtesten klappt, wenn wir unsere Gefühle kontrollieren und der Verstand sie in Schach hält. 

Gut beobachten lässt sich das bei der Partnersuche. Die Angst, ausgenutzt, verhöhnt und verletzt zu werden, hält uns zurück, auf einen anderen, oft gänzlich fremden Menschen offen zuzugehen. Denn dazu müssen wir unser Sicherheitsdenken aufgeben und die Angst überwinden, verletzt zu werden. Davor fürchten wir uns!

Aber wer nur nach dem Verstand lebt, wird ein gelangweilter, stumpfer und gedrückter, oft negativer Mensch. Er verkrustet! Das sollten wir uns bewusst machen und Emotionen nicht unterdrücken. Zur Kunst des Lebens gehört es, Liebe zuzulassen und sensitiv durch den Alltag zu gehen, das heisst offen zu sein für alles, was um uns herum gerade passiert. 

Das heisst auch, den möglichen Partner nicht zu analysieren oder gar zu sezieren, sondern ihn einfach nur wahrzunehmen, neugierig, interessiert, aufmerksam und zugewandt. Wenn ich jemanden näher kennenlerne, weiss ich nicht, was ich mit ihm erleben werde und ob er Probleme und Neurosen an mir abreagieren wird. Das ist riskant!

 „Wer liebt, der leidet“ sagt ein Sprichwort. Kränkung und Eifersucht sind nun mal die Schattenseite der Liebe und wir Menschen möchten uns gern dagegen absichern. Am einfachsten geht das, indem wir gleich unsere Gefühle abschalten und nur nach dem Verstand leben. Klick! Alles aus! Perfekt!

So erlebt es die besagte Heiratsvermittlerin mittlerweile täglich in ihrem Büro. Die Menschen kommen mit einer Liste zu ihr. Darauf stehen die Eigenschaften, die der Wunschpartner aufweisen muss. Es geht um Aussehen und Geld und darüber, dass er/sie gut ins Ambiente passt. Von Gefühlen ist dabei nicht die Rede. Die Liebesfähigkeit ist im allgemeinen Konsumdenken „flöten gegangen“. 

Aber der Preis ist hoch. Denn nur Liebe macht wirklich glücklich, auch wenn sie oft wehtut.

Und es sind doch die unvorhergesehenen Augenblicke – die berauschend schönen und die belastend quälenden – die das eigene Leben zum spannenden Roman machen und wer möchte schon einen langweiligen Roman gelebt haben.

Ihre Andrea Micus
www.andreamicus.de


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