Gehirntraining
Videospiele für die geistige Fitness
Sie setzten neue Impulse im trägen Gesundheitssektor, schreibt «enorm»-Autor Marc Winkelmann auf «spiegel online». Mit drei Freunden hat Manouchehr Shamsrizi vor zwei Jahren RetroBrain gegründet. Die Firma entwickelt Videospiele für Senioren, die unter Demenz leiden oder Stürzen vorbeugen wollen. Acht Mitarbeiter haben sie inzwischen fest angestellt.
Sie wurden für ihre Innovation mehrfach ausgezeichnet, arbeiten mit Partnern wie Microsoft, der Berliner Humboldt-Universität und der Krankenkasse Barmer GEK zusammen und haben eine Gruppe von Investoren von sich überzeugt, zu der Bayern-Fussballer Philipp Lahm, Arzt und Kabarettist Eckart von Hirschhausen und der frühere AOK-Chef Jürgen Graalmann gehören.
Manouchehr Shamsrizi, 28, ist so etwas wie der Chefnetzwerker und Öffentlichkeitsarbeiter von RetroBrain. Er erzählt vom "Homo Ludens", dem Modell des spielerisch lernenden Menschen, und dass die Idee während des Studiums entstanden sei. In Lüneburg, Friedrichshafen und an der US-Uni Yale hat er studiert, aber überall fehlte ihm entweder der gesellschaftliche Bezug oder die konkrete Wirkung.
Fündig wurde er beim Studiengang "Public Policy" der Humboldt-Viadrina School of Governance in Berlin, wo er das Thema alternde Gesellschaft vertiefte. Was er lernte, frustrierte ihn. "Ältere Menschen benötigen viel Aufmerksamkeit und Pflege. Dafür fehlt dem Fachpersonal fast überall die Zeit." Deshalb seien Senioren zu wenig aktiv.
"Das steht im krassen Gegensatz zur allgemeinen Entwicklung der Gesellschaft, die erfreulicherweise zunehmend das Ideal eines selbstbestimmten und aktiven Bürgers in ihren Mittelpunkt stellt." Als innerhalb kurzer Zeit bei den Eltern von zwei Freunden Demenz und Multiple Sklerose diagnostiziert werden und Shamsrizi mal wieder mit einem Freund Videospiele zockt, kommt ihnen eine Idee.
Könnten Konsolen nicht Senioren helfen, fit zu bleiben? Sie informieren sich bei der Deutschen Alzheimer Gesellschaft und stellen fest: Gaming könnte eine Lösung sein. "Man braucht nur die richtigen Spiele." Das Hospital zum Heiligen Geist im Nordosten Hamburgs ist ein weitläufiges Areal mit 18 Häusern und rund 1200 Bewohnern, eine "kleine Stadt für Senioren", wie sie selbst sagen.
Es ist kurz nach elf Uhr an diesem grauen Novembertag, in knapp einer Stunde gibt's Mittagessen, Eintopf und Pflaumenkompott, die Tische im Aufenthaltsraum sind bereits gedeckt. An einem anderen sitzen 16 Senioren. Einige dösen, andere blicken auf den Flachbildschirm an der Wand, auf dem eine Kegel-Simulation läuft.
Das Hospital ist eines der ersten Heime, in dem Demenzkranke die RetroBrain-Spiele testen. Herr Lemke ist dran. Mit seiner linken Hand stützt er sich auf seinen Gehstock, die Finger der rechten Hand krümmt er leicht, als ruhe etwas darin. Dann holt er aus. Die rote Kugel läuft los, "gut Holz!", ruft der Avatar, fünf Kegel fallen um.
Eigentlich bevorzuge er Skat, erklärt Herr Lemke, aber das hier gefalle ihm auch. Nur gespielt habe er das vorher noch nie. Was nicht stimmt. Aber was früher war, weiss er oft nicht mehr. Rund 1,5 Millionen Menschen wie Herrn Lemke gibt es in Deutschland, Jahr für Jahr kommen mehr als 300'000 neu Erkrankte dazu.
Sollte Forschern kein Durchbruch in Prävention und Therapie gelingen, wird sich die Zahl der Demenzkranken bis 2050 laut der Deutschen Alzheimer Gesellschaft auf etwa drei Millionen erhöhen.