PFLEGE
Was macht ein Alltagsbetreuer?
Eine berechtigte Sorge ist, dass im hohen Alter körperliche Gebrechen oder Erkrankungen wie Demenz einen Strich durch die Rechnung machen. Viele sind in den fortgeschrittenen Lebensjahrzehnten auf häusliche Versorgung oder den Umzug in ein Pflegeheim angewiesen. Um dennoch so lange wie möglich ein selbstbestimmtes Leben führen zu können, gibt es die Alltagsbetreuer. Ihre Aufgaben sind gerade nicht die Grundpflege oder medizinische Hilfeleistung. Stattdessen besteht die Tätigkeit darin, hilfebedürftige Personen bei der aktiven Gestaltung ihres Alltags zu unterstützen. Das betrifft letztlich nicht nur betagte Personen. Auch Menschen mit Behinderungen oder psychischen Erkrankungen erhalten diese Hilfen. Wer sich ab 50 Jahren noch einmal beruflich umorientieren möchte, kann als Alltagsbetreuer eine erfüllende neue Aufgabe finden. Die akkurate Bezeichnung lautet: „Zusätzliche Betreuungskraft §§ 43, 53 SGB XI in der Pflege“. Doch was steckt genau dahinter? Welche Aufgaben hat ein Alltagsbetreuer?
Als es noch keine Pflegereform gab – die Skandalgeschichten aus den Pflegeheimen
2005 erschien ein Buch in Geiste des Undercover-Journalismus. Marketingleiter Markus Breitscheidel hatte seinen Job gekündigt und sich als Pflegekraft ohne Ausbildung in fünf verschiedenen Alten- und Pflegeheimen verdingt. Danach schrieb er eine Reportage über seine Erfahrungen. Sie löste ein grosses öffentliches Echo in der Bevölkerung aus. Breitscheidel schilderte die traurigen und teilweise schockierenden Zustände in manchen Pflegeheimen. Das entscheidende Stichwort war: Vernachlässigung. Mit der Uhr in der Hand und im Minutentakt mussten überlastete Pflegekräfte die Körperpflege und Versorgung der Bewohner sicherstellen. Es fehlte so stark an Zeit, dass manche alte Menschen nicht genug zu trinken bekamen. In den schlimmsten Fällen sorgten Beruhigungsmittel dafür, dass sich die Pflegebedürftigen nicht mehr zu Wort meldeten. So einseitig das Buch auf Missstände hinwies und die ganze Pflegebranche zeitweilig in Verruf brachte – so wichtig war es doch als Stein des Anstosses. Zum ersten Male bekamen die Menschen in den Pflegeeinrichtungen ein öffentliches Podium. Ärzte, der Medizinische Dienst der Krankenkassen, der Deutsche Berufsverband der Pflegeberufe und viele andere Institutionen nahmen an der öffentlichen Diskussion teil und bezogen Stellung. Damals wurde klar: Es muss sich sehr viel ändern in der Pflege, damit menschenwürdiges Leben bis zum Ende garantiert ist. Seitdem befindet sich die gesamte Pflegebranche in einem umfangreichen Reform-Prozess. Die finanziellen Grundlagen, die Personalausstattung, Gesetze sowie die Pflege-Ausbildung wurden stetig verbessert. Ohne diesen grundlegenden Wandel wäre es heutzutage für viele Menschen nicht möglich, sich von einem Alltagsbetreuer unterstützen zu lassen.
Teilhabe am Leben ermöglichen – die wichtigste Zielsetzung für Alltagsbetreuer
Damals rückte eine fragwürdige Tatsache ins Bewusstsein: Finanzierungsmodelle und Pflegekonzepte waren vorrangig auf die Versorgung körperlicher Bedürfnisse ausgerichtet. Was ist mit Demenzkranken oder Menschen, die psychische Behinderungen haben? Müssen sie ohne Hilfen auskommen, solange sie körperlich fit sind? Und vor allem: Menschen brauchen mehr zum Leben als Essen, Körperpflege oder Hilfe mit dem Rollstuhl. Für ein Leben in Würde sind soziale Kontakte, Gedankenaustausch, fröhliche Geselligkeit, Hobbies, eigenständige Freizeitgestaltung und persönliche Aktivität bis zum Ende wichtig. Doch wie kann das organisatorisch in einem Pflegeheim gelingen? Oder wie sollen Angehörige alles das ermöglichen, wenn sie vielleicht schon die körperliche Pflege übernehmen?
Zu wichtigen Meilensteinen wurden die drei Pflegestärkungsgesetze. Schritt für Schritt haben damit immer mehr Pflegebedürftige die Möglichkeit erhalten, sich von Alltagsbetreuern unterstützen zu lassen. Die erklärten Ziele lauten:
- Pflegebedürftigen sollen mehr Teilhabe am sozialen Leben haben, Kontakte pflegen und an Gruppenaktivitäten teilnehmen können.
- Pflegebedürftige erhalten die Chance zu mehr Austausch und Gespräch.
- Sie bekommen bessere Chancen, an kulturellen Veranstaltungen teilnehmen zu können.
- Die Bedingungen für eine aktive Freizeitgestaltung werden verbessert.
- Pflegebedürftige sollen ihr Leben so gut wie möglich in Selbstverantwortung gestalten können.
Damit das alles gelingt, wurde ein neues Berufsprofil entwickelt und in das Pflegesystem eingeführt. Es ist die „Zusätzliche Betreuungskraft §§ 43, 53 SGB XI“. Sie soll durch die Alltagsunterstützung dafür sorgen, dass die obigen Teilhabe-Ziele ermöglicht werden. Die Aufgaben sind vielfältig und abwechslungsreich. Vor allem erfordern sie keine spezifischen Fachkenntnisse. Lebenserfahrung und das Wissen, wie man den Alltag lebendig gestaltet: Darauf kommt es am meisten an.
Die Aufgaben von zusätzlichen Betreuungskräften im Detail
Alltagsbetreuer kümmern sich vor allem um Personen mit diesen Handikaps:
- Menschen mit geistigen Behinderungen
- Personen mit körperlichen Behinderungen und Gebrechen
- Menschen mit psychischen Beeinträchtigungen
- Personen mit Demenzerkrankung
Ihre wichtigste Aufgabe ist es, für die Betroffenen ein Ansprechpartner im Alltag zu sein. Sie sind wichtige Bezugspersonen für die Pflegebedürftigen. Einfühlsamkeit, Wertschätzung und Zuwendung sind die drei Qualitäten, die ihre Arbeit kennzeichnet. Sie hören sich die Sorgen und Nöte der Pflegebedürftigen an, aber teilen auch Fröhlichkeit und Geselligkeit mit ihnen. Indem sie die Alltagsgestaltung begleiten, entlasten sie Angehörige. Zudem helfen sie den betreuten Personen, neue Kontakte zu knüpfen durch Gruppenaktivitäten. Welche Art von Alltagsgestaltung sinnvoll ist, hängt von der jeweils betreuten Person ab. Typische Tätigkeiten können sein:
- Gemeinsam den Gottesdienst besuchen
- Gemeinsam Fotoalben anschauen
- Zum Friedhof fahren und Blumen zu einem Grab bringen
- Sportveranstaltungen besuchen
- Brett-, Karten- und Gesellschaftsspiele spielen
- Gemeinsam handarbeiten
- Sich um die Pflege von Haustieren kümmern
- Zusammen Musik anhören, etwas singen oder mit Instrumenten musizieren
- Besuch einer Kulturveranstaltung organisieren
- Ausflugsziele finden und spazieren gehen
- Praktische Unterstützung bei handwerklichen Arbeiten, Basteln, leichter Gartenarbeit
- Gemeinsam backen oder kochen
- Tanzveranstaltungen in der Gruppe besuchen
Um die körperliche und geistige Fitness zu erhalten, gehören Bewegungsübungen oder spielerische Formen von Gedächtnistrainings dazu. Ein Alltagsbetreuer ist weder eine Haushaltshilfe noch eine medizinische Pflegekraft. Es geht nicht darum, den Pflegebedürftigen alles aus der Hand zu nehmen und sie von alltäglichen Aufgaben zu entlasten. Es ist genau umgekehrt. Der Alltag mit den vielen kleinen Aufgaben soll Freude machen. Gebraucht wird Ermunterung und menschlicher Zuspruch. Pflegebedürftige wünschen sich vielleicht sehr, einmal wieder ein Sommerkonzert zu besuchen oder einen Kuchen nach dem Familienrezept zu backen. Aber aufgrund ihrer Einschränkungen trauen sie es sich oft nicht mehr zu. Mit ein bisschen Unterstützung ist aber vieles noch möglich. Ängste abbauen und das Erlebnis der Selbstwirksamkeit stärken: Das tut ein Alltagsbetreuer. Man kann es auch anders sagen: Alltagsbetreuer sorgen dafür, dass die Pflegebedürftigen ihre Handikaps eine Zeit lang vergessen und möglichst unbeschwerte Alltagsmomente geniessen.
Infos zur Ausbildung:
Eine Qualifizierung zur zusätzlichen Betreuungskraft §§ 43, 53 SGB XI ist für jeden Quereinsteiger möglich. Die Weiterbildung dauert nur 2 – 3 Monate inklusive Kurzpraktikum in einer Pflegeeinrichtung.