«Ist Zivilcourage bei Prügeleien schwierig?»

Regelmässig wundern sich Jürg Ramspeck (Ü70) und Joëlle Weil (U30), dass es sich in der jeweils anderen Generation überhaupt zu leben lohnt.
Zivilcourage, Prügelei, Erziehung
Zwei junge Mädchen voller Zivilcourage (Foto: Jyotirmoy Gupta on Unsplash)

Die Nachwuchsjournalistin und der bekannte Autor stellen sich deshalb im «Blick am Abend» gegenseitig Fragen, um den Generation-Clash etwas abzufedern - oder sich gar gegenseitig zu verstehen.

"Young Küken" Joëlle Weil fragt:

Lieber Herr Ramspeck,
diese Woche erinnerte ich mich an meine frühere Zivilcourage. Ich erinnerte mich daran, dass ich mich zu meinen späten Teenagerzeiten bei Schlägereien, in die ein offensichtlich Schwächerer verwickelt war, dazwischenstellte. Nach Jahren der Berichterstattung über Prügeleien mit tödlichem Ausgang merkte ich jedoch, wie auch meine Zivilcourage starb. Ich fragte mich: Werde ich einfach älter und vorsichtiger, oder ist die Welt tatsächlich ein schrecklicher Ort geworden? Was sagen Sie? Und wie steht es um Ihre Zivilcourage? Fürchten Sie sich vor der Jugend?

"Elder Statesman" Jürg Ramspeck antwortet:

Liebe Joëlle,
um von hinten anzufangen: Nein, vor der Jugend fürchte ich mich nicht. Das könnte allerdings auch daran liegen, dass sie mir bis heute noch nie einen Grund zum Fürchten geliefert hat. Meine Lebensweise ist nicht so beschaffen, dass ich unter Jugendliche gerate, die sich verprügeln. Weshalb ich, was meine Zivilcourage betrifft, auf Mutmassung angewiesen bin. Ich würde mich wahrscheinlich, wenn ich Zaungast einer Schlägerei würde, aus derselben heraushalten. Ausser, es wäre offensichtlich, dass ein Stärkerer einen Wehrlosen zusammenhaut. In einem solchen Fall dürfte sich in mir eine Substanz bemerkbar machen, über die man keine Kontrolle hat, also ein Adrenalinstoss ereignen, der unwillkürlich zu blindwütigem Handeln veranlasst. Das wäre dann Zivilcourage auf chemischer Basis. Aber, wie gesagt, der Beweis, dass mich in einer solchen Situation physische Tapferkeit übermannte, steht noch aus. Auf Augenschein bietet sich mir die Welt als eine friedliche dar; dass sie auch ein schrecklicher Ort ist, muss ich schon den Nachrichten in Zeitung und "Tagesschau" entnehmen. Mein Verzehr an Büchern historischen Inhalts hat mich jedoch längst darüber belehrt, dass die Welt schon immer dazu neigte, ein schrecklicher Ort zu sein. Du wirst nicht einfach älter, sondern dir wird zunehmend bewusst, eine persönliche Mitverantwortung dafür zu tragen, wie Menschen miteinander umgehen. Und da ist es mit einem mutigen Dazwischentreten bei juveniler Kraftentladung nicht getan.

www.blickamabend.ch


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